Ruhepuls und HRV zusammen richtig nutzen

Sind mit einem niedrigen Ruhepuls auch eine gute Herzratenvariabilität und Entspannungsfähigkeit verbunden? In diesem Beitrag möchte ich der Frage nachgehen, welche Erkenntnisse sich aus der Beobachtung des Ruhepulses gewinnen lassen und inwieweit es sich lohnt, die Herzratenvariabilität mit einzubeziehen.

Der Puls lässt sich viel einfacher und schneller messen als die Herzratenvariabilität (HRV). Wäre es da nicht besser, wenn es ausreichen würde, sich nur die Veränderungen des Ruhepulses anzuschauen? Für die Klärung der Zusammenhänge von HRV und Ruhepuls habe ich mich an einen Experten gewendet. Dr. med. Lutz Graumann ist Sportmediziner aus Rosenheim mit den Arbeitsschwerpunkten Förderung und Steigerung der individuellen Leistungsfähigkeit. Er selbst misst ständig seine Herzfrequenz mit einem Wearable.

Ruhepuls und HRV haben viele Gemeinsamkeiten, wie z. B. ähnliche Einflussfaktoren. Auch lassen sich bei beiden aus einzelnen Werten nur wenig verlässliche Aussagen über den Gesundheits- oder Trainingszustand treffen. Man braucht regelmäßige Messungen, um eine Bewertung vornehmen können.

Grob könnte man den Zusammenhang von beide Parametern folgenermaßen betrachten: „Bei gesunden Menschen kann man davon ausgehen, dass wenn der Ruhepuls nach unten geht, sich die HRV meist verbessert und umgekehrt,“ so Dr. Graumann. Aber ganz so einfach, wie es hier erscheint, ist es leider nicht.

Wissenswertes über den Ruhepuls

Bevor wir tiefer in die Zusammenhänge einsteigen, möchten wir kurz ein paar Fakten zum Ruhepuls liefern. Der Begriff erklärt bereits, dass es sich um die Anzahl der Herzschläge handelt, während wir uns in Ruhe befinden. Bei Erwachsenen gilt ein Ruhepuls zwischen 60 und 100 Schlägen pro Minute als normal. „Die Höhe des Ruhepulses gibt Hinweise über die Ausdauerfähigkeit. Gut trainierte Sportler erreichen einen Ruhepuls von unter 40 Schlägen pro Minute. Ein Durchschnittswert von 70 Schlägen pro Minute ist bei untrainierten Erwachsenen empfehlenswert,“ erläutert Dr. Graumann.

Dass sich ein niedriger Ruhepuls unter 80 Schlägen pro Minute lohnt, zeigen verschiedene Studien. „Eine Studie, die 16 Jahre lang fast 3.000 Männer beobachtete, fand beispielsweise heraus, dass Männer mit einem Ruhepuls von mehr als 90 Schlägen pro Minute nach Bereinigung von anderen Risikofaktoren, wie z. B. Bluthochdruck oder erhöhten Blutfettwerten, eine dreimal höhere Sterblichkeitswahrscheinlichkeit hatten als Männer mit der niedrigsten Ruhepulsrate. Mittlerweile werden Erhöhungen des Ruhepulses mit einem gesteigerten Risiko für Herz-Kreislauf-Krankheiten und Tod in Verbindung gebracht.“

Vorteil Ruhepuls

Der Ruhepuls reagiert viel schneller auf Veränderungen als die HRV, was für die Beurteilung des aktuellen Gesundheitszustands ein Vorteil sein kann. „Naht eine Erkältung, erhöht sich der Ruhepuls Stunden vor den ersten Symptomen um 7 bis 10 Schläge. Die ersten Symptome kündigen sich mit einer Erhöhung von 15 Schlägen an, bei Fieber kann es sogar noch zu einer weiteren Steigerung kommen. Auf Nahrungsunverträglichkeiten reagiert der Körper mit einer Erhöhung von 10 bis 15 Schlägen, nach einer wenig erholsamen Nacht sind es 5 Schläge pro Minute mehr. Bei einer Erhöhung um 7 bis 10 Schlägen sollten Sportler ihr Training aussetzen,“ so Dr. Graumann.

Vorteil HRV

Die Messung der HRV gibt ebenfalls wertvolle Hinweise über den Gesundheits- und Trainingszustand. „Mit den Standardparametern wie z. B. SDNN, RMSSD, HF und LF lässt sich zeigen, wie gut es mit der allgemeinen Regenerationsfähigkeit aussieht. Vor allem bei Langzeitmessungen kann in Verbindung mit Herzfrequenz und Atmung gezeigt werden, wie gut der Körper mit Belastung umgehen und Erholungsphasen nutzen kann,“ erklärt Dr. Graumann. „Wenn die Möglichkeit besteht, schaue ich mir bei meinen Klienten immer gerne Ruhepuls und HRV an. Zusammen ergeben sie ein ganz gutes Bild über die Gesamtsituation.“

Sportlern empfiehlt Dr. Graumann den Orthostatic-Test für die tägliche HRV-Messung. Kurzzeitmessung in Ruhe und RSA-Test können auch genutzt werden, bloß muss bei ihnen mehr auf die Einflussfaktoren geachtet werden. „Wird jemand morgens von einem Wecker aus dem Schlaf gerissen, braucht seine HRV viel länger als sein Puls, bis sie sich wieder normalisiert,“ gibt Dr. Graumann zu bedenken.

Einflussfaktoren auf Ruhepuls und HRV

Alter Mit zunehmendem Alter neigt der Ruhepuls zum Anstieg und die HRV zur Absenkung.
Bewegung Regelmäßige körperliche Aktivität senkt den Ruhepuls und führt zu einer Erhöhung der HRV.
Psyche Emotionen wie Stress, Angst, extreme Freude oder Traurigkeit können den Ruhepuls erhöhen und die HRV senken.
Medikamente Viele Medikamente können den Ruhepuls und HRV beeinflussen.
Chronische Erkrankungen Viele Krankheiten verändern den Ruhepuls und die HRV.

Koffein

Der Koffeinkonsum kann den Ruhepuls senken und die HRV erhöhen. Dieser Effekt hält meist nur für eine kurze Zeit an und ist von der Koffeinmenge abhängig.
Tabakwaren Raucher neigen dazu, einen höheren Ruhepuls und eine erniedrigte HRV zu haben.
Übergewicht Je größer der Körper, desto mehr muss das Herz arbeiten, um ihn mit Blut zu versorgen. Eine Gewichtsabnahme kann zu einer Senkung des Ruhepulses und einer Erhöhung der HRV beitragen.
Wetter / Klima Extreme Temperaturen und Feuchtigkeit können den Ruhepuls erhöhen und die HRV senken.
Höhe In größerer Höhe kommt es aufgrund des Luftdruckunterschieds vorübergehend zu einer Steigerung des Ruhepulses und zu einer Senkung der HRV. Mit einem regelmäßigen Höhentraining lässt sich der Ruhepuls senken und die HRV erhöhen.


Ruhepuls und HRV im Alltag nutzen

Wie bereits angedeutet, reicht ein einzelner HRV- oder Pulswert nicht aus, um den aktuellen Gesundheits- oder Trainingszustand einzuschätzen. Für eine gute Bewertungsgrundlage sollte eine sogenannte Baseline (dokumentierte Ausgangssituation) ermittelt werden. Mindestens eine Woche sollte man regelmäßig Ruhepuls und HRV unter immer gleichen Bedingungen messen. „Nach etwa 28 Tagen wird jeder feststellen, dass der Ruhepuls unter Normal-Bedingungen höchstens um zwei bis drei Schläge pro Minute um den Mittelwert schwankt,“ berichtet Dr. Graumann. Mit dem Durchschnittswert können dann die jeweils tagesaktuellen Ergebnisse verglichen werden.

Fazit von Dr. Graumann

Wenn die Bereitschaft da ist und die Möglichkeit besteht, sollten im Ruhezustand Herzfrequenz und HRV regelmäßig gemessen werden. Wer sich nicht gleich ein entsprechendes Messgerät oder Wearable kaufen möchte, dem empfehle ich zum Einstieg in die physiologischen Abläufe des Körpers mit der Messung des Ruhepulses zu beginnen. Ohne Aufwand kann klassisch am Handgelenk oder an der Halsschlagader der Puls ertastet und gezählt werden.

Versierte Sportler sollten für ihre Trainingssteuerung immer die Veränderungen der Herzfrequenz beachten. Gut aufgestellt sind sie, wenn sie noch zusätzlich die HRV-Werte miteinbeziehen.

Menschen mit einem sehr herausfordernden Beruf oder einem belastenden Privatleben können mit den Veränderungen des Ruhepulses ihren aktuellen gesundheitlichen Zustand einschätzen. Die regelmäßige Messung der HRV hilft ihnen beim Umgang mit Belastungs- und Erholungsphasen.

Tipp: Einen weitergehenden Überblick zu Möglichkeiten der Regeneration bietet ein Interview-Video mit Dr. Graumann.

3 Gedanken zu „Ruhepuls und HRV zusammen richtig nutzen“

  1. Dr. Graumann ist ein absoluter Regenerations-Experte, der im Profisport bekannt ist! Es ist immer wieder verwunderlich, wie wenig über HRV und Regeneration bekannt ist und angewendet wird.
    In seinen tollen Vorträgen empfiehlt er auch Schallpause.

  2. Absolut lesenswerter und spannender Beitrag, so wie das gesamte Thema “Herzratenvariabilität”.

    Von Dr. Graumann halte ich ebenfalls sehr sehr viel. Ich hatte das Vergnügen, ihn diesen Sommer im Zuge eines Schlafkongresses zu den Themen HRV, Regeneration und Wearables zu interviewen. Super netter und fachlicher versierter Typ; konnte sogar noch ein paar Learnings für mich mitnehmen.

    Ich empfehle auch all meinen Klienten und Freunden, die sich dafür interessieren, sowohl Ruhepuls, als auch HRV morgens, mittags und idealerweise abends zu messen und zu prüfen, welche Tätigkeiten, Medikamente, etc. sich entsprechend Auswirkungen.

    Durch die regelmäßige HRV-Messung konnte ich mein Wohlbefinden, bzw. meine gesamte Gesundheit schon deutlich verbessern. 🙂

    LG, Chris

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